Wer kein Gesicht hat, existiert nicht. (Oliver Bottini)
Mercan reinigt Treppenhäuser, sie ist eine der „stillen Held:innen des Alltags“, eine der prekär beschäftigten Dienstleister:innen, auf die wir alle angewiesen sind, ohne sie bewusst wahrzunehmen. Genau das ist es, was Mercan am meisten schmerzt: unsichtbar, austauschbar zu sein. Seray Şahiner holt sie in ihrem zweiten Roman Kul* (2017) aus dem toten Winkel unserer Wahrnehmung heraus. Die Autorin erzählt nicht von und über Mercan, vielmehr atmet sie ihr Lebensgefühl und lässt uns daran teilhaben. Mercan steht stellvertretend für so viele andere Frauen, die von Kindheit an darauf konditioniert sind, für andere zu sorgen, die das Gefühl brauchen, gebraucht zu werden. „Das uns Frauen vermittelte Rollenbild ist die Frau, die auf den Mann wartet“, merkt die Autorin im Interview an. Sei der Mann da, fange das Leben an; Mercans Leben aber beginnt, als ihr Mann gegangen ist …