„Mir ging es vor allem darum, im Buchhandel eine eigene Sektion für türkische Literatur zu schaffen, damit sie nicht einfach als arabische Literatur vermarktet wird“, sagt die türkische Literaturagentin Nermin Mollaoğlu zu ihrer Motivation. Inwieweit ihr das mit ihrem Team bei Kalem Agency, 2005 in Istanbul gegründet, gelungen ist, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen hat und wie wichtig der Dialog mit Übersetzer:innen ist, erzählt die Trägerin des Literary-Agent-Award der Londoner Buchmesse in Interviews.
Als die in Bulgarien geborene Literaturvermittlerin vor Jahren recherchierte, welche bulgarischen Autor:innen ins Türkische übersetzt waren, stellte sie fest, dass kein einziges zeitgenössisches Werk bulgarischer Literatur auf Türkisch vorlag. Das gab ihr den Ausschlag, auch vice versa vor allem „weniger bekannte Länder“ abzudecken. Wie wichtig die Arbeit literarischer Agenturen für den Weg türkischer Literatur ins Ausland ist, macht sie an einer Zahl fest: Seit der Gründung der türkischen Republik (1923) bis zum Start von Kalem Agency (2005) seien lediglich gut 300 Titel aus dem Türkischen in andere Sprachen übersetzt worden. Seither sei die Anzahl auf rund 3.000 angestiegen. Wobei die Vertretung türkischer Autor:innen im Ausland nur etwa zehn Prozent ihrer Arbeit ausmache, den Löwenanteil wende sie mit ihrem Team für die Vertretung ausländischer Rechte in der Türkei auf.
Es gibt Länder, in denen Verlage glauben, in der Türkei gebe es nur „Sand und Meer“. Oder sie erwarten exotisch-orientalische Themen. Bei ihrem ersten Besuch auf der Moskauer Buchmesse, ein Jahr, bevor Orhan Pamuk den Literaturnobelpreis erhielt, sah Mollaoğlu in einer der größten Buchhandlungen Übersetzungen seiner Bücher neben denen von Nagib Mahfuz stehen: „Der Autorenname stilisiert wie arabische Buchstaben“. Türkisch, arabisch, alles dieselbe Ecke, „exotisch-orientalisch“ als Verkaufstrigger, wir kennen ähnliche Beispiele auch in Deutschland.
Verleger:innen im Westen seien vor allem an Büchern interessiert, „die nach Türkei riechen“. Viele suchen Bücher, die sich gut verkaufen. „Wer sucht, der findet. Und wer nicht sucht, den bringen wir zum Suchen, das ist unser Job.“ Eine Interviewerin bekennt, sie habe immer gedacht, türkische Autor:innen kämen im Ausland nicht voran, weil sie einfach keine guten Bücher schreiben. Die Literaturagentin erklärt, es gehe vielmehr darum, die Literatur bekannt zu machen:
Das ist ein Prozess und man muss sich wirklich anstrengen. Sagen wir, Sie haben ein gutes Buch veröffentlicht, da kommt niemand und kauft es einfach so, man muss es bekannt machen. Man muss es Literaturübersetzer:innen und Verleger:innen vorstellen, glauben Sie mir, das dauert Jahre. Wenn Sie noch Situationen hinzurechnen, wo es in Bezug auf die Türkei Fragezeichen gibt, heißt das, unser Job ist beileibe nicht einfach.
„Fragezeichen“ ist eine Umschreibung für politische Vorbehalte. Wenn die politische Situation in der Türkei „grauer und grauer“ werde, heiße es in den Meetings meistens: „Was ist los in der Türkei? Bring mir ein Buch, das von der politischen Situation in der Türkei erzählt.“ Darüber sei sie gar nicht glücklich, denn:
Die Türkei ist nicht die Hauptstadt von Grau, die Türkei besitzt ein breites Farbspektrum von Ost nach West, das sich allein durch Kunst und Kultur erfahren lässt. Und Literatur ist ein hervorragender Weg zum Verständnis der Türkei.
Was sie aber regelrecht hasse, verrät Mollaoğlu, seien thematische Erwartungen an Autor:innen aus Ländern wie der Türkei, Ländern also, in denen „eine Sprache außerhalb der großen fünf Publikationsmarkt-Sprachen gesprochen wird“:
Verleger:innen erwarten, dass Autor:innen sich über die Tagespolitik in der Türkei äußern. Thematisiert ein Autor das in seinem Roman nicht, dann soll er darauf zumindest in Interviews eingehen. Am liebsten hat man, dass er als eine Art ehrenamtlicher Journalist ständig Nachrichten aus der Türkei bringt.
Literatur sei keineswegs unpolitisch, doch sie störe „die Form, in der Europäer:innen das von uns erwarten“, dass sie dabei von den Stereotypen in ihren Köpfen ausgehen. Es gebe die Erwartungshaltung, türkische Autor:innen könnten gern über dies und jenes schreiben, doch bestimmte Themen seien „Schriftsteller:innen der eigenen Sprache“ vorbehalten.
Die Literaturvermittlerin ist ständig auf Reisen von einer Buchmesse zur nächsten in aller Welt, aber großes Geld lasse sich in diesem Job nicht verdienen. Eine neue Autorin, die nicht gerade oben auf der Bestsellerliste steht, verkaufe in der Türkei nicht über 1000 Exemplare. „Nur wenige Bücher werden weltweit bekannt, erst wenn die Journalisten in der Türkei die Autorin kennen und über sie schreiben, steigen die Verkäufe vielleicht auf 2000 oder 3000 Exemplare.“ Das gelte umgekehrt ebenso, türkische Schriftsteller:innen müssen bei Literaturredakteur: innen im Ausland bekannt gemacht werden, müssen dort an Literaturfestivals teilnehmen. Der Aufbau solcher Beziehungen dauere lange.
Was würde aus ihrer Sicht die Situation verbessern?
Es würde schon reichen, keine Vorurteile zu haben, „Schatten machen“ nennt sie das:
Lassen Sie mich das so sagen. Wir standen noch ganz am Anfang, Tanpınar war ins Deutsche übersetzt worden, und zwar von einem hervorragenden Übersetzer, und in einem guten Verlag in Deutschland erschienen. Ein Journalist bat große Namen der Literatur um ihre Meinung zum Thema. Einer unkte: ‚Er wurde zwar übersetzt, aber wer weiß wie?’ Wie ist ein derart negativer Blick nur möglich? Gucken die Deutschen auch so auf die Übersetzungen ihrer eigenen Literatur?
Es brauche vor allem jemanden „von drüben“, der eine Beziehung zu dem jeweiligen Buch herstellt. Hier kommt die Agentin auf die Bedeutung von Literaturübersetzer:innen bei der Vermittlung zu sprechen. Ob ein Buch im Ausland eine Chance hat, hänge maßgeblich davon ab, ob Übersetzer:innen es kennen.
Das ist von enormer Bedeutung. Es ist sehr wichtig, dass Übersetzer:innen diesen Autor, diese Autorin kennen und gelesen haben. (…) Denn die Lektor:innen fragen die Übersetzer:innen, mit denen sie kooperieren, was sie von diesem Autor halten. Mit einer positiven Beurteilung des Übersetzers kann der Verkauf schnell vorankommen. Handelt es sich dagegen um einen neuen Autor, den niemand kennt, von dem auch noch nie ein Buch auf den Bestsellerlisten stand, können Sie sich noch so anstrengen und erzählen, wie toll das Buch ist.
Wie aktiv Nermin Mollaoğlu sich für den Dialog zwischen Übersetzer:innen und Autor:innen einsetzt, weiß ich aus eigener Erfahrung. Sie stellt Kontakte her und entwickelt Initiativen. So veranlasste sie beispielsweise den bekannten türkischen Autor Ahmet Ümit, zu einem seiner üblichen Book-Launch-Events neben Verleger:innen, Lektor:innen und Scouts aus dem Ausland auch Übersetzer:innen einzuladen und bei anderer Gelegenheit ein Symposium mit seinen Übersetzer:innen abzuhalten.
Zur weiteren Unterstützung ihrer Tätigkeit gründete Nermin Mollaoğlu 2009 gemeinsam mit Ehemann Mehmet Demirtaş, der sie auch in den Anfängen von Kalem Agency maßgeblich unterstützt hat, das Tanpınar-Literaturfestival Istanbul ITEF. Durch zahlreiche prominent besetzte Veranstaltungen und Fellowship-Programme ermöglicht das Festival ausländischen Verlagen und Agenturen, zum Teil auch Journalist:innen, einen profunden Einblick in den türkischen Literaturbetrieb. Die Türkei sei „ständig in den Schlagzeilen und auf der politischen Agenda, so dass die Verlage ein negatives Bild“ hätten, außer ein, zwei großen Namen wüssten sie nichts über türkische Literatur. Eine große Aufgabe für die Zukunft sei es, „Brücken zu bauen, damit die übersetzten Autor:innen in den Kulturbetrieb des Ziellandes hineinkommen.“ Dabei sieht sie sich mit ihrer Agentur ebenso in der Pflicht wie andere Einrichtungen des Kulturbetriebs.
Links:
Istanbul Tanpınar Edebiyat Festivali ITEF
Quellen:
Interviews auf/mit Onedio, Medyatava, London Book Fair, The Bookseller, Hayatımız Kitap (Video)
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