Bikulturelle Beziehungen sind nicht per se problematisch, doch wenn nur eine Seite sich um Verständnis bemüht, wird es schwierig. Wie im „richtigen“ Leben zumeist auch, ist es in Isabella Feimers Debütroman Der afghanische Koch (septime-Verlag 2013) die Frau, die namenlos bleibende Ich-Erzählerin, die um Empathie und Verstehen der ihr doch fremd bleibenden Welt ihres Partners Rahman regelrecht ringt. Sie setzt sich intensiv mit seiner Geschichte auseinander – um sie aufzuschreiben. Immer wieder spricht er ihr Verständnis ab, sie aber kann und will nicht hinnehmen, aus Lebensabschnitten und -bereichen des Geliebten ausgeschlossen zu bleiben.
Beide leben in prekären Verhältnissen im Wien des Jahres 2012, nicht einmal die Wohnsituation ist geklärt, sie hält sich hauptsächlich „zu Hause“ auf, scheint das Gros ihrer Zeit damit zu verbringen, auf ihn zu warten, und wenn er da ist, sich auf ihn einzuschwingen, für ihn da zu sein. Er, der afghanische Flüchtling, nimmt das als selbstverständlichen Habitus der weiblichen Hälfte einer Beziehung wahr, Anflüge von Fragen, von Kritik ihrerseits stoßen bei ihm auf Unverständnis. Auch, dass sie seine Geschichte schreibt, scheint ihm Selbstverständlichkeit. Sie befragt ihn und notiert, schubweise, als zweite Ich-Erzählung aus seiner Perspektive, angewiesen auf eigene Fantasie, aus „seiner“ Geschichte wird bald „unsere“.
Kabul unter den Taliban, Moskau – die Autorin nutzte ein Reisestipendium für Recherchen vor Ort – und das pakistanische Peshawar als Fluchtstationen zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Konstellationen bleiben merkwürdig blass, fast schablonenhaft. „Meine Vorstellung bleibt leer, keine Assoziationen wollen mir diese Städte in meinen Gedanken plastischer machen“, bekennt denn auch die Ich-Erzählerin. Selbst Wien bleibt leblos als Kulisse wie für Schattenfiguren, deren Stäbe die Autorin bewegt.
Rahman als Jugendlicher und junger Mann, es geht ihm, wie Millionen anderen jungen Leute, um easy living, um Trinken, Rauchen, Koksen und Mädchen. Mit Islam hat er nichts am Hut, er versteht sich als Kommunist, hat allerdings eine diffuse oder auch eigenwillige Vorstellung von Kommunismus, so ist der ihm Begründung dafür, Schweinefleisch essen zu dürfen, und an jahrelangen Geschäften in der Drogenmafia hindert ihn diese Gesinnung auch nicht. „Natürlich“ erreicht er bei allen Frauen sein Ziel, zuerst lässt er sich verführen, später nimmt er sich, was er will. Cousin Tariq, der noch vor ihm nach Moskau reist und dort mit Natascha eine Familie gründet, ist ihm in Sachen ungezügelter, unvernünftig übermütiger Jugend ein Vorbild. Bis er selbst mit Natascha anbandelt, oder auch: bis Tariq bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt …
Was Fantasie der Erzählerin ist, was der offenbar mit allen Wassern gewaschene Flüchtling erlebt hat oder ausschmückt, bleibt offen, das macht einerseits den Reiz der Erzählung aus, enttäuscht aber zugleich, denn mit zahlreichen realen Anspielungen und Hinweisen – etwa der Liquidierung Bin Ladens – wird Authentizität postuliert.
Die Geschichte ihres „Kochs“ verknüpft die junge Autorin Feimer, die bisher Theatertexte, Hörspiele und Kurzprosa veröffentlichte, mit der des Großvaters der Ich-Erzählerin, der als Soldat Stalingrad überlebte. Gewidmet ist das Buch „meinem Großvater Ferdinand“. Ein Hinweis darauf, dass die Ich-Erzählerin in Zügen als Alter Ego der Autorin zu lesen ist? Die Einschübe aus der Vergangenheit der eigenen Familie wollen die aktuelle Kriegssituation in Afghanistans mit dem II. Weltkrieg damaligen in Beziehung setzen, wirken aber aufgesetzt. Der Vergleich zwischen dem traumatisierten Großvater, dem Soldaten, der die Großmutter nicht liebte, aber doch nicht von ihr loskam, und dem Flüchtling aus dem von Taliban geknechteten Kabul, der von den Erinnerungen ebenso wenig loskommt wie von Drogen und den ewigen Frauengeschichten, hinkt.
Die primäre Erzählung ist in einem Stakkato stark fragmentierter Endlossätze gehalten, „steckengeblieben in der Sackgasse meiner versagenden Sprache … Sätze über die karierten Zeilen geschmiert, Namen, Städte, Erinnerungen, Lügen und Wahrheiten zusammengemischt, ich, er, eine Geschichte, die sich in sich selbst verloren hat“ (184). Ein Spiegel des Gemütszustands der Erzählerin.
Ein Buch liest sich am besten häppchenweise im Café, um die in Sprüngen wiederkehrenden, sich im Kreis drehenden Motive nachzuvollziehen: diffuse Sehnsucht nach der Heimat – die sie ihm mehr unterstellt, als dass er sie hat -, Frust des Exils, für beide ganz unterschiedlich aussehende Sorgen um den Alltag, eine Beziehung, in der nichts geklärt ist und außer Sex nichts richtig zu funktionieren scheint, ihr Ringen um Verständnis für den heroisierten Mann, ihre Rekonstruktion seines Vorlebens: „Noch ist es ein sperriges Bild, das ich von diesem Land und seinen Menschen in mir trage, auch seine Geschichte ein sperriges Puzzle, das ich mit den Puzzleteilen meiner Geschichte zusammensetzen möchte, die Teile, denke ich, passen nicht …“ (144)
In seiner Nachbemerkung merkt der österreichisch-tschechische Avantgarde-Autor Michael Stavarič an, Literatur bedeute, „dass nach einer Lektüre Rätsel, Leerstellen und Fragen bleiben dürfen und müssen. Man kann das Leben nicht einfach ‚zusammenfassen’.“ Wie liest man ein Puzzle, dessen Teile nicht unbedingt zusammengehören, geschweige denn, zusammenpassen?
Isabella Feimer: Der afghanische Koch. Wien: Septime-Verlag 2013.
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