man könnte sich das buch vornehmen
man könnte mit großen buchstaben
„wenn nicht jetzt dann nie“
auf das weiße Blatt schreiben
„letzte chance“
das haus verlassen – nichts mitnehmen – zurückblicken verboten – aber man kann nicht aus sich rausgehen … (@ warum man nicht wegkommt)
Die Duisburger Poetin Lütfiye Güzel kann durchaus aus sich herausgehen und sie tut es vor allem in Gedichten, in ihrem zweiten Buch Let’s Go Güzel (Dialog Edition, Duisbug 2012) auch in kurzer, lyrischer Prosa. „Ich will Poesie hinterlassen. Aber was übrig bleibt, ist ein Zug, der zu früh abfährt, und eine Umarmung, die keine ist.“ (Sternengucker)
Szenen aus dem Alltag. „Der Alltag der meisten Menschen ist Alltag. Das macht mich alt“ (Linienbus). Aufs Papier getropfte Kurzszenen, An- und Aussichten, wie wir alle sie kennen, wie sie den meisten von uns aber nie zu Bewusstsein kommen. Hier pickt Lütfiye das Moment auf, fixiert es, „weil ich lücken habe / & keinen mut / & immer denke ich / das gleich / schon länger / als ich denken kann“ (wie ich fixiere).
Ihre Sprache vollzieht ihre Bewegungen nach, möglicherweise das Denken ihrer Gehirnwindungen, schonungslos ehrlich ist sie, nicht um ehrlich zu sein, sondern weil es ihr gar nicht anders möglich ist, schockierend zuweilen, nicht mit der Absicht zu schockieren, sondern weil sie das Leben so erlebt, weil das Leben so ist.
„Ich schaue in ihr Gesicht, ohne sie anzusehen. Das geht.“ Auf der Intensivstation, wie auf Schritt und Tritt in jedem Raum, den man Leben nennt, lässt sie Gedanken und Gefühle zu, denen die meisten kaum erlauben würden, ins Bewusstsein zu treten. „Man wird ungeduldig und wünscht sich im Geheimen, dass es kippt. / Raus aus dem Menschsein. Am liebsten würde ich mich jetzt schlafen legen. / Ich brauche Luft. Die ist hier aber portioniert. Ich kriege nichts ab“ (Hier breche ich ab). Atemlosigkeit und Empörung, unmittelbares, impulsives Handeln ohne Rücksicht auf Konventionen.
Depression. Auf die meisten Leute wartet niemand bzw. nur das Nichts, sie verdrängen das erfolgreich und sehen dann so aus, als würde man irgendwo / auf sie warten. Auch wenn sie es kaum glauben mag, auf Lütfiye Güzel warten an ganz vielen Orten ganz viele. Was sie gar nicht will. Ihr sind doch die wenigen, die Einzelnen, die nicht warten, aber da sind, viel lieber (@ große pause).
Die Texte sind viel zu lustvoll, als dass das Leiden am Leben, die Traurigkeit, die mächtigen Schreibimpulse, sie wahrhaft melancholisch oder gar depressiv machen würden. In ein und demselben Text kann die Leere – „mache das leben anderer / zu meinem projekt / weil ich kein eigenes habe“ – sich im Nu ins Gegenteil verkehrt wiederfinden, weil sie, die Autorin, „kann“, was sie tut. (@ ich bin luft) Sie will gar nicht / aber man muss ja irgendwas (@guthaben). Farben, auch bunt, färbt sie schwarz, nur grün und rot, kurz gelb, dürfen existieren, rot sogar fliegen (ver-rückt), ihre Sinne registrieren jedes Detail übergenau, so geschwind und unmittelbar sie auf das Papier fließen mögen, sind sie doch schon gefiltert, sind unwiderruflich lütfisiert. Sie registriert die Zwischentöne, unwillkürlich bleiben Äußerungen des Unwesens im Menschen, die nur selten aufblitzen, an ihr hängen, sie kann nicht anders, als gerade diese zu notieren. Und sich zu wundern, dass all die, die dauernd erzählen, sie würden bald verrückt, am Ende dann doch ihren Job machen / &all die großen umbrüche / verlieren sich / &werden zu toastbrot (write wrote written). Diese Umbrüche sind es, die sie aufspürt, bevor sie sich Bahn brechen, sie bemüht sich nicht, ihnen zum Durchbruch zu verhelfen, auch wenn es das ist, worauf sie wartet und hofft – „was passieren will / soll passieren“ (oh madrid) – sie beobachtet dann nur, notiert und berichtet, nüchtern / &voll bis oben hin (klumpfuß), punktgenau.
Immer wieder Angst. Nein, die Vergewisserung ihrer Abwesenheit. „ohne angst / die angst liegt anderswo / in sicherheit“ (oh madrid). Nur „im tiefsten dorf“ ist angst noch angst (schwestern), wie berg noch berg. „&ich weine / für all die male / in denen ich nicht geweint habe / anderswo“ (oh madrid).
Keine Larmoyanz, kein Weltschmerz oder Wehklagen über Ungerechtigkeit, nicht einmal darüber, unverstanden zu sein, vielmehr glasklares Empfinden, selbst nicht zu verstehen, wie sie leben können, obwohl „sie so unfrei [sind] / die jungen leute / so abhängig / &verloren“ (die jungen leute). Ihre Methode nennt sie „zweifeln“, sie wende sie an, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, und meint, die Spur verlöre sich dann ebenso schnell wieder wie die Wahrheit (ich muss zweifeln). In der kurzen Zeitspanne, da sie Spur&Wahrheit aber erblickt, hat sie sie schon erfasst und notiert, und konfrontiert uns damit, wie seltsam es ist, dass jemand dir ein Brötchen schmiert, ein „mensch / der dir egal ist / dem du egal bist / nicht einmal für ein / ‚egal’ reicht es“ (zuviel butter) – und zwingt, den eigenen Blick zu ändern, zumindest aber sich fortan ähnliche Fragen zu stellen.
Sie besitzt die seltene Fähigkeit, Gegenstände, über die nachzudenken auf den ersten Blick kaum lohnt, zum Leben zu erwecken, aus dem Kontext zu heben, ganz ohne nachzudenken, einfach, weil das Objekt sich ihr als Subjekt zeigt, oder auch, weil sie Zeichen sieht. Da sitzt sie schon mal im Zug, ohne zu wissen wohin, und der „ausschnitt / auch ‚fenster’ genannt“ macht aus ihr „ein rasendes foto / im rahmen“ (ticket). Auch die Sprache. Sie liebt Sprachspiele, ist aber weit entfernt davon, sprachverliebt zu sein: „um den block gehen / wie es so schön heißt / wie es heißt / so schön wird es nicht“ (was menschen wie ich so tun). Und selbstverständlich tut sie dann „einfach nicht / was menschen wie ich / so tun“.
Liebe. Ein kleines Herz könnte sich in einen Stuhl verlieben, es könnte aber auch kopf&kragen riskieren. Zuneigung, gar Liebe, ist ein Klammergriff, was kann man schon dagegen tun, wenn jemand wie Lütfiye Güzel einen ins Herz geschlossen hat, denn, gesteht sie, sie habe nichts gegen menschen (griff). Wer singt „i love you“, kann nach dieser Logik nur ein Mörder sein (Serienkiller). Liebe ist auch, den anderen trösten zu wollen, ihm eine Postkarte zu bekleben&zu machen, grün&rot, wenn man selbst glücklich ist (wenn du traurig bist). Das muss schon große Liebe sein, denn die eigene Grundhaltung ist schwarz, trostlos, untröstlich, auch wenn die Autorin versucht, „ernsthaft glücklich zu sein“ (Bücher). „Man könnte den Traurigen einen abgetrennten Bereich zuweisen“ oder auch „sich von der Brücke werfen. Aber sie sind so hässlich, die Brücken hier.“ Zum Glück.
Multikulti. sucht man nicht vergebens, man muss schon aufmerksam sein, um die Spuren des erweiterten Horizonts, den ein solcher Hintergrund idealerweise mit sich bringt, zu entdecken, wie das taksim-taxi, das sie natürlich 24 stunden fährt (oder), denn das ist der Slogan auf – nicht nur – Istanbuler Taxis, alo taxi rund um die Uhr.
„Das Mittelmaß ist gemein. Und ihr Transportmittel ist der Linienbus.“ Da hilft kein Zucker, um das Leben in der Schublade erträglich zu machen, wo Opas einem den Rollator / faltbar und de luxe / in die Kniekehlen rammen, wo Besenstiele als Mikroständer dienen wie dem Vater zur Treibjagd auf die Mutter, die „Schublade steht manchmal offen, aber ich bleibe drin. / Wahrscheinlich bin ich glücklich hier.“ (Linienbus) Oder ist der bevorzugte Wohnort der Seele doch das schließfach nr. 7 in der bedeutungslosen stadt / mit ihren friedhofsbäumen? (zu erkennen dass man einen tag zu lang alleine war) Es sind gern Nicht-Orte [nach Marc Augé], an/von denen sie schreibt: Krankenhaus, Flughafen, Café, obwohl sie stark im Hier&Jetzt schreibt, fühlt sie sich wie auf der „durchreise“ und muss erst noch erkunden, ob es „ein leben vor dem tod“ gibt.
Schwarzhumorig, ungewollt der Humor, das Schwarze dagegen Attitüde. Böse wirkt auf den ersten Blick manche Spitze, auch die Abrechnung mit „mein vater – der held“, / als Mutter und später Vater dann sterben, passiert nicht ihr das / es ist aber kein Draufschlagen, noch nicht einmal ein spitzes Stechen, eher ein Kratzen am Lack, ein Aufkratzen unverheilbarer Wunden langer, lange in sich hineingefressener Enttäuschung. Wenn sie aber schreibt, sie denke über das leben / so ähnlich wie über den tod / augen zu & durch (neulich), dann ist das nicht wahr, denn sie lebt mit weit offenen Augen und Ohren, dass sie schreibt, dass sie mittlerweile zwei Bücher veröffentlicht hat, mit denen sie Lesungen, Poetry-Slam, Werkstätten bestreitet, die viel Zuspruch finden, ist der Gegenbeweis für den Gestus des postulierten Negativ-Nihilismus. Und doch ist dieser keinesfalls aufgesetzt, er ist Teil von ihr, stark genug, sich immer wieder eruptiv in lyrischer Form zu verdichten. Bukowski wurde genannt, an den Fänger im Roggen denkt man nicht nur bei „Maisfeld“ und „Laufschuhen“, die Referenz an Holden Caulfield (Diese Kreuzung) ist explizit, doch Vorbilder wie Vergleiche tun wenig zur Sache, erklären nichts, wenn eine sich hinsetzt und aufschreibt, was ihr durchs Hirn jagt, was sich aus ihr heraus zum Ausdruck drängt, und die Leserin zur Antwort. Denn das geschieht beim Lesen dieser Texte. Man möchte, man muss antworten, nolens volens, anregend könnte man es nennen, ich nenne es Nötigung. Das ist kein Buch zum Schmökern oder gemütlichen Auf-die-Couch-Zurückziehen und romantischen Lesen, die Lektüre fällt einen an wie ein Wolf.
man könnte sich das buch vornehmen
man könnte in großen buchstaben
„angstfrei direkt“
auf das weiße Blatt schreiben (@warum man nicht wegkommt) und es Rezension nennen, doch gerecht würde man diesem außergewöhnlichen Buch damit sicher nicht.
Lütfiye Güzel: Let’s go Güzel. Kurzgeschichten & Gedichte. Dialog Edition, Duisburg 2012.
PS: Glaub mir, liebe Lüftiye, am Ende führen alle wege / nach irgendwo.
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