Eins, zwei, eins, zwei, Stiefelabsätze knallen aufs Parkett, Wachablösung an der Grenze von Irgendwo. Zu beiden Seiten der stacheldrahtbewehrten Barriere Wachhäuschen mit dem Bild des jeweiligen Präsidenten darin und je einem Soldaten davor. Mati der eine, Yuan der andere. Sie kennen sich lange, erleben sich im tristen Dienst als Freunde, tauschen Gefühle von Heimweh und halbwegs philosophische Gedanken ebenso aus wie Knoblauchwurst und Wein – bis ihre Länder sich den Krieg erklären und die beiden Männer sich unvermutet als Feinde gegenüberstehen.
Mahmut Erdinlig als Mati und Caner Şakar als Yuan sind Laiendarsteller im Stück Sınır (Die Grenze) des türkischen Theater Istasyon Iletişim in Hamburg-Altona. Von deutschen Nachbarn weitgehend unbemerkt bringt die Theatergruppe seit nunmehr 22 Jahren türkische Stücke auf die Bühne und spielt meist vor ausverkauftem Haus. Das Ehepaar Serap und Olgay Sadak gehört zu den Gründern des Ensembles und leitet es bis heute, sie mittlerweile als Intendantin und Regisseurin, er als Bühnentechniker und Dekorateur. Beide gehören zur ersten Generation sogenannter “Gastarbeiter”, waren jahrzehntelang in Hamburger Unternehmen beschäftigt und zugleich in der Türkischen Gemeinde bzw. ihren Vorläuferorganisationen engagiert. Das Theater bauten sie aus Leidenschaft und mit Unterstützung von Profis wie den Schauspielern Demir Gökgöl und Zarif Zeki Şahin auf. Die Gruppe ist für jeden Interessierten offen. Mancher hat hier als Laie begonnen und arbeitet heute professionell auf oder hinter der Bühne renommierter Theater. Manche gingen aber auch enttäuscht wieder nach Hause, als sie erfahren mussten, dass zur Schauspielerei, und sei es in einer Laienspielgruppe, mehr gehört als guter Wille und der Wunsch, rasch berühmt zu werden. In der Laienarbeit, die rein ehrenamtlich erfolgt, selbst die Bühnenausstattung wird allein aus eigenen Einnahmen finanziert, liegt auch ein Handicap: Am neuesten Stück Gözü Kara Alaturka (Buch: Özen Yula) arbeitete die Gruppe über zwei Jahre, bevor sie es im April 2011 zur Bühnenreife brachte. Schuld an der Verzögerung war die hohe Fluktuation vor allem in der weiblichen Besetzung.
In Zeiten, da muttersprachlicher Schulunterricht heruntergefahren wird und Türkisch vielen als Sprache ohne Zukunft in Deutschland gilt, setzt Theater Istasyon nach wie vor auf die Muttersprache der größten Zuwanderergruppe. Dies und ihre Kontinuität unterscheidet die Gruppe von mehreren anderen Initiativen, die mehr oder weniger professionell in Hamburg und Umgebung Theater spielen und auf türkische Gründungen zurückgehen. „Emotionen kann man am besten in der Muttersprache ausdrücken“, ist Intendantin Serap Sadak überzeugt. Die Begeisterung bei Mitwirkenden wie Publikum gibt ihr Recht. Selbstverständlich beherrschen alle Ensemblemitglieder auch die deutsche Sprache. Einziges Manko der Fokussierung auf das Türkische ist die Beschränkung der Zielgruppe. Ein Novum bietet da der Auftritt am 4. Juni 2011 im Thalia-Theater an der Gaußstraße im Rahmen der Altonale: Dort wird das Stück „Sınır“ (Die Grenze), die Adaption einer Erzählung des türkischen Autors Muzaffer Izgü, mit deutscher Untertitelung aufgeführt. Theater Istasyon ist auch in dieser Hinsicht offen für Experimente.
Auf der Bühne richtet Mati auf Befehl seines Kommandanten zum Schluss die Waffe auf den vom Freund zum Gegner mutierten Mitspieler, erlaubt ihm aber noch einen Abschiedsbrief nach Haus. Verzweifelt schildert Yuan seiner Frau, was für ein guter Freund Mati war, der ihn nun erschießen wird, weil „die da oben“ es angeordnet haben. Yuan erwähnt auch, dass auch sein Mörder Mati aufgrund des Kriegs wohl kaum noch lange zu leben habe. Da wird Mati sich auf einmal des Irrsinns seines Vorhabens bewusst …
Türkisch-deutsches Theaterfestival Heimspiel ‘11 der theater altonale, Thalia in der Gaußstraße, Samstag 04. Juni 2011, 19.00 Uhr – SINIR / Die Grenze, mit deutschen Untertiteln, Gastspiel von Tiyatro Istasyon.