Der dritte Montag im Januar ist Martin-Luther-King-Day in den USA – und dem Hamburger Körberforum seit 2010 Anlass für die Martin Luther King Lecture, den Vortrag eines im Sinne Kings engagierten Akteurs für friedliches Miteinander. Am 17. Januar 2011 war Ratna Omidvar, Präsidentin der Maytree-Foundation, Toronto, in dieser Reihe eingeladen, das kanadische Erfolgsmodell Einwanderungsland vorzustellen. Sie tat es mit Leidenschaft, ohne je in Romantisierung abzugleiten oder den kritischen Blick zu verlieren, aber durchaus optimistisch gestimmt und mit kosmopolitischer Kenntnis, gewonnen aus eigener Lebenserfahrung ebenso wie dem jungen internationalen Kooperationsprojekt Cities of Migration.

Ratna Omidvar (Foto: Maytree Foundation)
Gestalter des Konsens
Lothar Dittmer von der Körberstiftung stellte mit dem King-Zitat, eine authentische Führungspersönlichkeit sei nicht jene, die den Konsens suche, sondern jene, die ihn gestalte, Omidvars Vortrag das Motto voran und Eric Walsh von der kanadischen Botschaft Berlin betonte, es gehe darum, die Debatte über Integration zu versachlichen. Sein Land betrachte Einwanderung als Bereicherung – und Omidvar, die vor 28 Jahren als Flüchtling ins Land kam, sei ein Beispiel für das, was in Kanada gut funktioniere.
„Wir wissen, dass unsere Zukunft vom Wohlergehen unserer Immigranten abhängt“, bestätigt Omidvar und zählt zahlreiche Beispiele für die aufeinander folgenden Einwanderungswellen nach Kanada auf – „Die meisten Kanadier sind Boat-People, sie sind nur zu unterschiedlichen Zeiten angekommen“ – und betont, Zuwanderung werde nie enden. Heute seien 40% der jungen Kanadier Einwanderer in erster oder zweiter Generation, 220-250.000 Immigranten pro Jahr kommen neu hinzu. Nicht nationale oder religiöse Segregation sei ein Problem, sondern soziale und zum Teil auch emotionale. Kanada heiße Immigranten willkommen, allerdings werde vollständige gesellschaftliche Teilhabe erst der zweiten Generation in Aussicht gestellt. Es fehlten Rollenmodelle, auch Kanada sei nicht das Paradies. Jeder Immigrant komme mit dem Wunsch nach Erfolg ins Land, niemand wolle zurück- oder ausgeschlossen bleiben, das ist das Feuer, das sie antreibt, das „fire in the belly“, das es für alle Seiten zu nutzen gelte. Sie wollen das Beste von Kanada annehmen und das Beste ihrer eigenen Kultur behalten. Nur so kann es funktionieren, nicht, wie in Deutschland gefordert, wenn man eine Wahl zwischen beidem treffen soll.
Auf Integration folgt Inklusion
Auf Integration, die in erster Linie die Zugewanderten fordere, müsse Inklusion, Beteiligung und Einbeziehung, folgen, und hier sei die einheimische Gesellschaft gefordert. Die Stiftung Maytree arbeite mit rund 5.000 Unternehmen zusammen, um Immigranten ihren Qualifikationen entsprechende Jobs zu bieten. Die Unternehmen tun dies keinesfalls aus Menschenliebe, wie Omidvar unterstreicht, sondern aus reinem Eigeninteresse und der Erkenntnis heraus, dass die westlichen Industrieländer aus demographischer Notwendigkeit längst um qualifizierte Köpfe in aller Welt konkurrieren. Zudem kann der Exilblick (Leo Löwenthal), der frische Blick von außen, bei jeder Suche nach Problemlösungen nur von Vorteil sein.
Zuwanderung betreffe in erster Linie urbane Regionen, sei ebenso Chance wie Herausforderung. Um sich in einem internationalen Netzwerk zu unterstützen, gründete Maytree die Initiative Cities of Migration, wo man voneinander lernen und sich gegenseitig zeigen kann, dass und wie Erfolg möglich ist. Selbstverständlich sind Modelle nie eins zu eins übertragbar. Die Fahrradstadt Kopenhagen etwa schule auf kommunaler Ebene Zuwanderinnen im Radfahren und in der Eingliederung in den Verkehr. Im britischen Cardiff organisiere die Polizei den Sprachunterricht für Zuwanderer und stelle damit ein Vertrauensverhältnis her, was wiederum Konflikten vorbeugt. In Duisburg besuchte Omidvar eine Moschee mit durchsichtigen Fensterscheiben, Transparenz, die beiden Seiten Ängste nimmt. Überall auch in Deutschland habe sie positive Beispiele für Integrationsarbeit auf kommunaler Ebene gesehen. Und eben da sieht sie das große Potenzial: So viel wie möglich kommunal bzw. regional regeln. Die erste Erfahrung, ob positiv oder negativ, die Einwanderer machen, ist immer lokal. Auf den ersten Eindruck vom neuen Land hat also die Kommune und damit jeder Bürger unmittelbaren Einfluss, und bekanntlich ist der erste Eindruck entscheidend. Omidvar endet mit einem Aufruf zur Inklusion und meint, Martin Luther King würde heute sagen, es ist nicht die Zeit für Lippenbekenntnisse, es ist Zeit zum Handeln, Zeit für aktives Engagement.
Stellt den Erfolg dar!
So lautet Omidvars klare Antwort auf die Frage von Moderatorin Melinda Crane, was man denn gegen die Angst tun könne: Immer wieder die Erfolgsgeschichten, die es ja überall gibt, erzählen und in den Vordergrund stellen. Bilder von Erfolg, davon ist sie überzeugt, können Bilder der Angst ersetzen. Deutschland habe große Fortschritte gemacht in den letzten 30 Jahren, in den Herzen und Köpfen der Leute aber sei vieles noch nicht angekommen. Dies sei auch mitverschuldet durch die Medien, die in Deutschland extrem kontraproduktiv agierten und die Öffentlichkeit vielfach von konstruktiver Integrationsarbeit abhielten. „Kauft eine Zeitung!“, schlägt sie der Körberstiftung vor, um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. „Bringt Erfolgsstorys in lokale Zeitungen, bringt Immigranten mit Einheimischen zusammen.“ Und: „Achtet auf die Sprache!“ Sie selbst sage nie „Ausländer“ oder „Migranten“, sondern Immigranten (Einwanderer) oder Neukanadier. Vieles hänge von der Sprache ab. Deutschland mache aus ihrer Sicht den Fehler, sich auf eine Nation und eine Religion zu konzentrieren, es gehe aber nie und nirgends um nur eine bestimmte Gruppe. Es mögen Fehler in der Vergangenheit gemacht worden sein, die u.a. Unterschiede im Status quo der Einwanderungsländer Kanada und Deutschland begründen – neben nicht zu unterschätzenden historischen und geographischen Gegebenheiten –, jetzt gehe es aber darum zuzusehen, dass die künftige – notwendige! – Zuwanderung konstruktiv angegangen werde: Holt Zuwanderer nicht nach Gruppen sondern nach Kompetenzen ausgewählt ins Land; eine Grundvoraussetzung ist der Spracherwerb. Bringt Cluster – es funktioniert nur, wenn Einwanderer ihre eigenen lokalen Netzwerke bilden können! Erleichtert die Einbürgerung! Sprecht die Mehrheit an, die offen für das Thema ist, in Kanada seien das rund 80% der Bevölkerung. Die ewig gestrige Minderheit ist ohnehin nicht erreichbar. Und: Kümmert euch darum, durch Sprachunterricht, Schul- und Berufsbildung zu gewährleisten, dass spätestens für die zweite Generation Chancengleichheit herrscht.
Das sind Ratna Omidvars Empfehlungen für die Kulturnation Deutschland, die sich noch immer mit ihrer Identität als Einwanderungsland schwertut, auch wenn die Fakten längst eine andere Sprache sprechen.
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