Sharisha oder Saluni? Eine Entscheidung zu treffen zwischen dem Wal und der Frau, fällt dem Walrufer gar nicht ein, dennoch endet sein Weg des versuchten Ausgleichs in der Katastrophe.
Afrikanische Literatur ist längst keine folkloristische Dorfromantik mehr – falls sie es denn, außer im Auge mancher Europäer, je war. Dem renommierten, hierzulande aber nach wie vor kaum bekannten südafrikanischen Autor Zakes Mda gelingt es in diesem modernen Epos von Liebe und Naturverbundenheit, die Zerrissenheit der Menschen in sich wandelnden Gesellschaften zwischen Tradition und Moderne auf ungewöhnliche, berührende Weise zu schildern. Mit Humor und Empathie führt er seine Helden durch eine ebenso stille wie turbulente Geschichte:
Der namenlos bleibende Walrufer kehrt nach 35 Jahren Wanderschaft auf den Spuren der Wale mit seinem Horn entlang der südafrikanischen Küsten in sein Heimatdorf am indischen Ozean zurückkehrt. Nun ein schmucker Ferienort, ist es ihm fremd geworden, doch das neue Leben kümmert ihn nicht. Er will nichts anderes, als mit einfachsten Mitteln zufrieden zu leben und seiner Leidenschaft und einzigartigen Fähigkeit nachzugehen: mit seinem Horn aus Seetang mit den Walen zu kommunizieren. Saluni, die stadtbekannte Säuferin, beginnt irgendwann, dem Walrufer zu folgen, zunächst unaufdringlich, dann zieht sie bei ihm ein und stellt sein Leben auf den Kopf.
Groteske, geradezu surreale Szenen, wie der Tanz des Walrufers im Smoking auf seiner Halbinsel im Dialog mit dem Wal, bevor dieser weiter nach Süden zieht, schwarzen Humor wie im Verhalten der „gelangweilten Zwillinge“, zweier verwahrloster Schwestern, die Saluni unberufen bemuttert, was ihr letztlich zum Verhängnis wird, Sozial- und Globalisierungskritik wie in den gaffenden, fotofixierten Touristenmassen zur Walsaison stellt der Autor nebeneinander, dass es die Leserin von einer Emotion in die andere reißt. Die Auswirkungen des politischen Umbruchs in Südafrika, die nach wie vor unhaltbaren Lebensumstände für die einfache Bevölkerung schimmern immer wieder durch die weitgehend als modernes Märchen erzählte Geschichte des Walrufers hindurch.
Niemand ist eine Insel, auch nicht in einem entlegenen afrikanischen Dorf. Mehr als Touristen und veränderte Umstände stört den Walrufer die Frau auf. Es liegt ihm fern, sie für ihren Lebenswandel zu verurteilen oder auch nur Rechenschaft zu fordern. Nachdem er sie zunächst flieht, dann aber durch ihren eigenartigen Geruch, „süßlich modrig“, gefangen ist, liebt er sie so selbstlos, dass es dem Leser naiv erscheinen muss. Zugleich als kaum erreichbares Ideal. Saluni versucht redlich, ihr Leben ihm zuliebe zu ändern, was ihr eine Weile auch gelingt, bevor Gewohnheit, Eifersucht, Mangel an Verständnis und die Angst, zu kurz zu kommen, sie zurück in den Morast zieht. Dennoch gibt der Walrufer sie nicht auf, hofft, die große Liebe, die beide nur „die Krankheit“ nennen, mit ihr weiterleben zu können.
Autor Mda schildert anhand seiner Protagonisten, die beide unterhalb der Schwelle hellen Tagesbewusstseins zu leben scheinen, den Versuch, im bedingungslosen Zusammenleben sich selbst treu zu bleiben. Dass dieser Versuch scheitern muss, liegt weniger im Inneren der Protagonisten begründet, als vielmehr an den Umständen, an unverständigen, ja, böswilligen Dritten.
Warum muss diese ungewöhnliche, ebenso schwierige wie viel versprechende Liebesgeschichte derart tragisch enden? Was als Störfeuer immer wieder aufblitzt im Verlauf der Erzählung, kumuliert am Ende in der Katastrophe an allen Fronten. Tribut an die Realität mag es für den Autor sein, die Leserin lässt es ratlos zurück.
Zakes Mda: Der Walrufer. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Zürich: Unionsverlag 2009. (Org. Titel The Whale Caller, 2005. Deutsche Erstauflage 2006.)