José Eduardo Agualusa spielt in Das Lachen des Geckos mit Erinnerungen, Träumen und Vergangenheiten zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Ein Gecko, ein Albino, ein geheimnisumwitterter Mann auf der Suche nach einer neuen Identität, eine starke schöne Frau – der angolanische Autor Agualusa hat mit Das Lachen des Geckos einen Roman geschrieben, der mehrere Lesarten zulässt, ja, fordert.
Da ist die politische Ebene, die sich latent durch das gesamte Buch zieht. Ein Albino im mehrheitlich schwarzen Luanda ist schon eine Herausforderung. Félix Ventura, Adoptivsohn einer Dynastie von Antiquaren und selbst ausgesuchter Buchliebhaber, verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Vergangenheiten. Im postkommunistischen Angola sind es zumeist Emporkömmlinge der neuen politischen Kaste, die sich einen glanzvollen Stammbaum erkaufen. Félix liefert die gewünschte Identität samt Belegen. Ein weißer Kunde, Fotoreporter von Kriegs- und Katastrophenschauplätzen, lässt sich eine schwarze Vergangenheit klittern. Im Handumdrehen identifiziert sich der erfundene José Buchmann mit der neuen Identität, so sehr, dass er das Grab seines fiktiven schwarzen Vaters besucht und sich auf Spurensuche nach seiner angeblichen weißen Mutter begibt. Ein Minister legt sich überhaupt erst eine Vergangenheit und damit eine machtpolitische Legitimation zu. Die junge Ângela schweigt sich über ihre Vergangenheit aus, reagiert dafür umso sensibler auf Stimmungen und Hintergründe. Ein Gecko erinnert sich an sein Leben als Mensch, das ihn in höchst aktuellen, zum Teil brisanten Träumen wiederholt heimsucht. Mit dem Einbruch eines ehemaligen Agenten des kommunistischen Regimes in die heile Welt der Neuschaffung von Erinnerungen, zerteilt gleich einem Schwerthieb das Politische das beschauliche Dasein von Félix und seinem Mitbewohner, dem Gecko, Gewalt blitzt auf, noch einmal verschafft sich die Brutalität der überwundenen Ära ihr Recht. Nichts bleibt, wie es war.
Weiter ist da die Ebene der Beziehungen. Der Gecko teilt Träume, Gefühle, Hoffnungen mit Félix. Beide bauen eine Art Freundschaft auf, die sich im anteilnehmenden Zuhören des Geckos und vertrauensvollen Erzählen seitens des Albinos manifestiert. Sensibel beobachtet der Gecko die meist kurzlebigen Frauenbekanntschaften von Félix, mitfühlend die allmählich entstehende tiefe Beziehung zu seinem „Engel“, der auf Lichterscheinungen spezialisierten Fotografin Ângela. Intuitiv unsympathisch ist dem Gecko von Anfang an der ominöse Fotograf, der darauf bedacht ist, die Fäden der Beziehung zu Félix straff in eigenen Händen zu halten. Ein ganzes Geflecht unerwarteter Beziehungen taucht auf, als die Erzählstränge in einer explosiven Begegnung kulminieren. „Alle Geschichten hängen zusammen. Am Ende hängt alles zusammen“, fasst ein neuer Kunde Félix’, dem man übel mitgespielt hat, zusammen, bevor er seinen ungewöhnlichen Wunsch äußert: eine normale, bescheidene Vergangenheit ohne jeden Glanz.
Unverständlich bleibt, warum der Verlag der deutschen Ausgabe den bezeichnenden Originaltitel O Vendedor do Passados (Der Verkäufer von Vergangenheiten) zu dem in diesem Zusammenhang wenig aussagekräftigen „Lachen des Geckos“ gemacht hat. Auch wenn es im deutschen Verlagswesen durchaus üblich ist, in der Übersetzung eine Neuschöpfung des Titels vorzunehmen, gern mit exotisierendem Touch, kommt hier eine bedauerliche Verschiebung des Fokusses und somit der Wertung der Protagonisten ins Spiel.
Zentrales Motiv des Buches ist die Ebene der Erinnerung, der – scheinbar oder tatsächlich – echten, der verdrängten oder vergessenen, der ersehnten, der erschlichenen. „Schenken Sie Ihren Kindern eine bessere Vergangenheit“, lautet das Motto, mit dem Félix seine Tätigkeit erfolgreich bewirbt. Unsere Erinnerung ist nicht zuletzt das, was andere über uns erinnern. Wir tendieren dazu, diesen erzählten Fremderinnerungen zu trauen, und seien es falsche, vielleicht mehr als unseren eigenen. Das Lachen des Geckos ist ein Spiel mit Erinnerungen und Träumen. „Es steckt viel Wahrheit, wenn auch keine Wirklichkeit in allem, was ein Mensch träumt“, weiß der Fotograf Buchmann im traumhaften Gespräch mit dem Gecko.
Der Autor oder sein Held bezieht sich mit dieser Ebene explizit auf Martin Luther Kings historische Rede I have a dream und lässt sein Buch bzw. Tagebuch mit der Korrektur des King-Zitats enden, wie es aus seiner Perspektive und Erfahrung hätte lauten müssen: „Ich habe einen Traum entstehen lassen“.
Kaum zu glauben, dass mit diesem Band erst die zweite Übersetzung ins Deutsche aus dem beachtlichen Werk des in drei lusitanischen Kulturen beheimateten Autors vorliegt. Agualusa lässt im Lachen des Geckos nicht nur einen sondern viele Träume entstehen und regt dazu an, kritischer und sensibler mit den Phänomenen Traum und Erinnerung umzugehen, der eigenen wie der fremden.
José Eduardo Agualusa: Das Lachen des Geckos. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler. A1-Verlag, München 2008.